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Market Timing vs. Zeit am Markt: Was langfristig wirklich zählt
Wer investiert, wünscht sich Rendite – am besten möglichst schnell und möglichst sicher. Kein Wunder also, dass viele Anleger versuchen, den perfekten Einstiegs- oder Ausstiegszeitpunkt zu finden. Die Idee dahinter: Wer „richtig“ timt, profitiert von den Höhen und umgeht die Tiefen der Märkte.
In der Praxis zeigt sich jedoch immer wieder, dass dieser Ansatz besser klingt, als er tatsächlich funktioniert. Denn Marktbewegungen lassen sich kaum zuverlässig vorhersagen – schon gar nicht auf Dauer. Umso wichtiger ist die Frage: Was bringt langfristig mehr? Der Versuch, den idealen Moment zu erwischen – oder einfach investiert zu bleiben?
Was ist Market Timing – und warum funktioniert es selten?
Market Timing beschreibt den Versuch, Wertpapiere zum optimalen Zeitpunkt zu kaufen oder zu verkaufen. Anleger wollen auf Kursanstiege aufspringen und Abschwünge möglichst vermeiden. Klingt strategisch, ist aber hochgradig spekulativ. Denn Märkte sind keine linearen Systeme. Sie reagieren auf unzählige Faktoren gleichzeitig, viele davon unvorhersehbar: geopolitische Entwicklungen, Zinsentscheidungen, Stimmungen. Selbst professionelle Investoren liegen mit Prognosen oft daneben.
Dazu kommt: Wer auf das richtige Timing setzt, läuft Gefahr, die besten Tage am Markt zu verpassen. Und die machen einen großen Unterschied. Eine Auswertung der Sutor Bank zeigt: Wer beim DAX zwischen 1988 und 2019 die 13 besten Handelstage verpasst hat, hat die Hälfte der Gesamtrendite eingebüßt. Beim MSCI World reichten schon 12 verpasste Tage, um denselben Effekt zu erzeugen. Und diese „besten Tage“? Die lassen sich eben meist erst im Rückblick identifizieren und nicht im Voraus.
Die häufigsten Denkfehler beim Market Timing
Wer versucht, den Markt zu timen, muss nicht nur die Kursentwicklung vorhersagen, sondern auch die eigene Reaktion darauf im Griff haben. Und genau hier wird es schwierig.
Typische Denkfehler, die Anleger in Timing-Fallen tappen lassen:
- Verlustaversion: Verluste schmerzen stärker als Gewinne Freude bereiten. Schon kleine Rückgänge führen dazu, dass Positionen vorschnell verkauft werden – selbst wenn sich am fundamentalen Wert nichts geändert hat.
- Rückschaufehler: Rückblickend wirkt alles logisch. Dass der Markt 2008 einbrach oder sich 2020 schnell erholte, erscheint im Nachhinein fast offensichtlich. In Echtzeit aber sind solche Entwicklungen kaum vorhersehbar.
- Overconfidence: Viele Anleger überschätzen ihre Fähigkeit, Entwicklungen richtig einzuschätzen. Besonders nach ein paar erfolgreichen Entscheidungen.
- Angst vorm Einstieg: Steigen die Kurse, wirken sie „zu teuer“. Fallen sie, ist die Sorge vor weiteren Verlusten zu groß. Die Folge: Anleger warten ab – oft zu lange.
Diese Verhaltensmuster führen dazu, dass Entscheidungen impulsiv und reaktiv getroffen werden – und nicht strategisch. Langfristig schadet das nicht nur der Rendite, sondern auch der inneren Ruhe beim Investieren.
Zeit am Markt: Die stärkere Strategie
Statt auf den perfekten Moment zu spekulieren, setzen erfahrene Anleger auf ein bewährtes Prinzip: investiert bleiben. Denn Zeit ist einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren an der Börse und nicht das Timing.
Ein entscheidender Grund dafür: der Zinseszinseffekt. Wer lange investiert bleibt, lässt sein Kapital nicht nur arbeiten, sondern profitiert auch davon, dass die erzielten Erträge selbst wieder Erträge abwerfen. Mit jedem Jahr potenziert sich dieser Effekt – vorausgesetzt, das Geld bleibt investiert.
Hinzu kommt: Die Volatilität nimmt mit der Zeit ab. Kurzfristig können Märkte stark schwanken. Doch je länger der Anlagehorizont, desto mehr gleichen sich die Ausschläge aus. Historische Daten zeigen: Während Ein-Jahres-Perioden am Aktienmarkt hohe Schwankungen aufweisen können, lagen etwa beim S&P 500 die Fünf-Jahres-Renditen deutlich stabiler mit wesentlich geringerem Risiko.
Langfristig zu investieren, bedeutet auch, einen Plan zu verfolgen, statt auf Impulse zu reagieren. Wer klare Ziele und eine solide Strategie hat, muss nicht bei jeder Marktnachricht aktiv werden. Das spart Nerven und Kosten. Denn häufiges Umschichten verursacht Gebühren und hat wiederum Einbußen in der Rendite zur Folge.
Fazit: Die Zeit ist ein guter Verbündeter
An den Kapitalmärkten geht es selten geradlinig zu. Mal steigen Kurse, mal fallen sie – oft ohne klaren Auslöser, manchmal sogar entgegen allen Erwartungen. Wer dann versucht, durch geschicktes Timing den optimalen Moment für Ein- oder Ausstieg zu erwischen, geht ein hohes Risiko ein: Das Risiko, die besten Tage zu verpassen. Oder aber gar nie einzusteigen.
Deutlich erfolgreicher ist meist der, der investiert bleibt. Denn über längere Zeiträume gleichen sich Schwankungen aus, und der Zinseszinseffekt entfaltet seine volle Kraft. Entscheidend ist dabei nicht, jeden Trend vorherzusehen, sondern eine Strategie zu haben – und ihr treu zu bleiben.
Gerade in Zeiten voller Unsicherheit ist es beruhigend zu wissen: Es braucht keine hellseherischen Fähigkeiten, um Vermögen aufzubauen. Es braucht Zeit. Und eine klare Linie.